Ein Kleid für den Tisch

Entwicklung einer Jacquard-Tischwäsche-Kollektion

Tischwäsche – Riten und Geschichte

Das Zusammenkommen zu einem Mahl hat seit archaischen Zeiten eine gemeinschaftsbildende, elementare Kraft. Es gehört zu den existentiellen Grundformen des Zusammenlebens. Es bildet Orientierung, sammelt und verbindet. Über die bloße Notwendigkeit zur Nahrungsaufnahme hat es soziale, rituelle, bis ins religiöse reichende Wurzeln.vgl. 1 Dies gilt im Kreis von Familie und Freunden wie auf der Ebene von Arbeitswelt, Gesellschaft und Staatenwelt.vgl. 2

Zum gemeinsamen Mahl gehört der achtsam gedeckte Tisch. Als einladende Geste ist der mit einem Tuch bedeckte Tisch Symbol für Gastfreundschaft und Gemeinschaft als zentralen Tugenden menschlicher Kultur.

Eine Urform des Tisches ist der Altar. Im Christentum in Anlehnung an das letzte Abendmahl Jesu mit seinen Jüngern als Mensa domini, der Tisch des Herrn bezeichnet. Zum festen Attribut des Altars gehört eine Altardecke aus gewebtem weißem Leinen. Sie ist zusammen mit Tüchern für das Hostiengefäß Sinnbild für das Grabtuch Christi.vgl. 3

„Die weiße Altardecke ist das zum Heiligen Mahl gehörende Tischtuch. Dass sie ständig auf dem Altar liegt, erinnert an die grundlegende Bedeutung (…) für den Gottesdienst der Gemeinde. Für die Altardecke verwendet man handgewebtes reines Leinen. Sie (…) sollte vielmehr mit der Vorderkante der Mensa abschließen oder sogar noch kurz vor ihr enden, so dass sie wie ein Läufer auf der Altarplatte aufliegt.“4

„Die älteste Decke von weißer Leinwand hatte ihren Grund in der Deutung desselben auf die feine Leinwand, worin der Körper Jesu nach der Abnahme vom Kreuze gewickelt wurde. Die Altarbekleidung gehörte daher von jeher so wesentlich zu den Attributen eines Altars, daß die Entblösung desselben für eine Entweihung des Heiligtums (…) gehalten wurde. Nur in den Tagen der Märtyrerwoche, an Gründonnerstag, Charfreitag und Ostersabbath, (…) eine symbolische Erinnerung an den (…) von seinen Jüngern verlassenen und seiner Kleider beraubten Christus.“5

Feinste gewebte Leinentücher gehören zu frühen Zeugnissen textiler Kunst, tausende Jahre vor Christi Geburt. Sie sind ein kulturelles Vermächtnis, das sich in unser kollektives Gedächtnis eingeprägt hat.vgl. 6

Kostbare Tischwäsche ist fester Bestandteil der Aussteuer für Brautleute. Als Weißwäsche wurde sie von Hand gefertigt in ausreichender Menge bis ins Alter. Störschneiderinnen gingen von Hof zu Hof und übernahmen Teile der Näharbeiten. In prächtig bemalten oder verzierten Truhen und Schränken wurde sie sauber gepflegt und verwahrt als wertvolles Gut. Die Aussteuer galt lange Jahrhunderte als Zeichen von Wohlstand und den Schritt in ein selbständiges Leben.

Welche Bedeutung das Tischtuch symbolisiert zeigt die Redewendung „Das Tischtuch zerschneiden“. Diese Geste kündigt eine Freundschaft, löst eine Gemeinschaft oder engste familiäre Bande: „Im Mittelalter mußten Eheleute, die ihre Trennung rechtsgültig machen wollten, ein Tischtuch zerschneiden. Jeder von beiden behielt sein Stück. Eine der härtesten Ehrenstrafen war das zerschnittene Tischtuch für Edelleute im Mittelalter. Wurde ihnen das Tischtuch zerschnitten, schloss man sie damit aus der Gemeinschaft aus.“7

Aus dem württembergischen Geschlecht des Grafen Eberhard berichtet Uhland nach der Niederlage des Sohnes in der Schlacht bei Reutlingen 1388:

„Er trifft den alten Vater allein am Mittagsmahl, ein frostiger Willkommen! Kein Wort ertönt im Saal. Dem Vater gegenüber sitzt Ulrich an den Tisch, er schlägt die Augen nieder, man bringt ihm Wein und Fisch; Da faßt der Greis ein Messer und spricht kein Wort dabei, und schneidet zwischen beiden das Tafeltuch entzwei.“8

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vgl, 1. Riedel, Joschka: Einflüsse des antiken Symposions auf die christliche und jüdische Mahlpraxis. Geog-August-Universität Göttingen 2013. S.1 ff.
vgl. 2. Trattner, Irma: Repräsentation mittelalterlicher Fest- und Tischkultur im Bild. Universität Salzburg/Kunstsuniversitä Linz. o.J. (ca. 2011), S. 1-13.
vgl. 3. Tüpker, Ulrike: Kunst aus der Stille. Eine Hommage an die Bildweberei der Henriettenstiuftung. Hannover 2005. S. 39.
4. Verband evangelischer Mesner in Bayern: Die weißen Decken und Tücher auf dem Altar. www.kirchen-bayern.de
5. Heideloff,, Carl Alexander von: Der christliche Altar, ärchälogisch und artistisch dargestellt. 1838 o.S,, aus: Bayerische Staatsbibliothek.
vgl. 6. Mecheels, Stefan u.a.: Kultur- & Industriegeschichte der Textilien. S. 27ff. Bönnigheit. Zu Frage „Ist Flachs die älteste Textilfaser?“
7. Goody, Jack: Zur Geschichte der Familie. München 2002.
8. Uhland, Ludwig: Die Schlacht bei Reutlingen.

Klare Linie in neutralen Tönen – Konzept zur Kollektionsentwicklung

Verästelungen eines Blattes

Grundthema der Jacquard-Tischwäsche-Kollektion ist die Gestaltung mit linearen, gefalteten oder organischen Strukturen und feinen Schattierungen. Die Farbigkeit bewegt sich in neutralen Tönen zwischen Grau, Grau-Blau, Beige und Natur. Aus dem Brainstorming zum Thema Chaos und Ordnung leiten sich Assoziationen ab wie Blatt- und Pflanzenstrukturen, Verästelungen, Faltungen, Gesteins- und kristalline Strukturen, Schattenwürfe und Silhouetten in Natur und Technik. Collagen, Zeichnungen und Skizzen entstehen. Die digitale Jacquardtechnologie macht die Umsetzung handgezeichneter filigraner Entwürfe in Gewebe als Kleinserie nach freien Entwürfen möglich. Anstelle von ornamentalen Bindungsvarianten erfolgt die Entscheidung für schattierende Atlasbindungen und die Reduktion auf neutrale Töne. Die Endkonfenktion erfolgt von Hand als Kontrast zur maschinellen Fertigung ohne Maschinennaht. Das Material beschränkt sich auf Leinen im Schuss und Lyocell im Kettgarn als Regeneratfaser aus heimischen Hölzern.

Arbeitsprozess und technische Angaben

Ausgangspunkt sind von Hand gezeichnete Entwürfe in Bleistift, Buntstift, Tusche und Collagen.

arbeitsschritte1Die Entwürfe werden digitalisiert und in Photoshop bearbeitet, auf die gewünschte Zahl von Graustufen reduziert, in der Linienführung präzisiert, versäubert und in Details herausgearbeitet. Für die Anschlüsse werden die Entwürfe in Längsrichtung oder All-Over rapportiert. Im Bindungsprogramm AraWeave werden die Graustufen mit Bindungen belegt. Für ein einheitliches zurückhaltendes Bindungsbild werden schattierende Atlasbindungen gewählt.

Das Schussmaterial ist feines Leinen in Nm 30 bis 40 und zarten Grau- bis Naturtönen. Die Schussdichte wird für ein gut auf dem Tisch liegendes Gewebe mit edlem Glanz auf 27 Fäden pro Zentimeter festgesetzt. Die Kettdichte liegt bei 48 Fäden pro Zentimeter bei einer Kettbreite von 1,65 Meter.

Die Tischläufer werden quer gewebt. So kann nach einer Länge von 60 Zentimetern jeder Läufer neu gestaltet werden. Das macht Unikate und Kleinserien, Versuche und Experimente möglich. Die Dreier-Gallierung macht eine Rapportierung nach jeweils 55 Zentimetern erforderlich. Gelegentlich werden auch Rapporte mit 27,5 Zentimetern gewählt.

Bei den Entwürfen galt es, sich an Gestaltungskriterien heranzutasten: Wieviel Klarheit soll sein, wieviel Reduktion, wieviel Details sind möglich, wieviel Feinheit, Schattierung, Verdichtung, wie feiner oder breiter Strich. Gerade Linienführung oder skizzenhafte Anmutung. Wie verhält sich der Entwurf beim Weben, wie beim Waschen, wie wirkt er optisch und haptisch. Entstanden ist eine Reihe von gewebten Entwürfen, die leicht und anmutig wirken, elegant und individuell.